Weshalb kommen Menschen auf die Alm, fragten sich die Hoteliers Sandra und Hannes Rabanser. Beide verstehen Sie vielleicht besser als Sie denken. Weil sie für sich brauchen, was Sie im Sinn haben: frei sein, Ruhe finden, sich daheim fühlen.
Dabei auf nichts zu verzichten. Liegen sie richtig?
Gasthöfe werden in Südtirol vererbt. Selbst auf der Alm. Mit etwas Glück haben die Rabanser 1994 den Almgasthof Tirler auf der Seiser Alm erworben. Hannes Rabansers Mutter wünschte sich schon lange eine Almhütte. Als der Tirler, damals im Besitz des Landes Hessen, zum Verkauf stand, blätterte Franz Rabanser das Geld auf den Tisch. Die Rabanser lebten damals in St. Ulrich in Gröden, also unten im Tal. Sie waren weder Hoteliers noch Gastwirte. „Mein Vater ist Getränkegroßhändler“, sagt Hannes. Er selber wollte Psychologe werden. Mit dem Tirler hatte es gar nichts zu tun, dass er die Schule schmiss…
Hannes graut vor der Schule. Der lange Weg zur Psychologie schreckt ihn ab. Freunde raten ihm, in die Gastronomie zu gehen. Er wird Kellner. Und am Ende sind alle froh darüber. Als die Suche nach neuen Pächtern sich als steinig erweist, hilft Hannes aus beim Tirler, immer öfter, dann ganz.
Alles zu eng: Jugendherberge mit Stockbetten.
Ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen. Dabei hat Hannes gerade erst die 40 überschritten. Das Haus, das er übernahm, war einst eine sommerliche Almhütte für Senner und Bauern und in den 1990er Jahren eine bescheidene Jugendherberge: „Mit Eisenstockbetten und Etagenklos“, erinnert er sich. Die Einkünfte dümpeln dahin, die Zimmer, sagt er heute, waren so einfach, dass sie bald nicht mehr zu vermieten waren. 2004 entscheidet er: Wir bauen um.
In Südtirol beschließen Hoteliers das alle Naselang. Nur: Auf der Seiser Alm, auf 1.750 Meter Meereshöhe, mitten im Naturschutzgebiet, gelten andere Regeln als in Südtirol.
Mach vorne schauen: Vier Architekten sind drei zu viel
Vier Anläufe nahm Hannes Rabanser und seine Familie. Und vier Architekten. Nacheinander. Das erste Projekt ging nicht durch, weil ein neues Gesetz das Aufstocken von bestehenden Gebäuden verbietet. Dann hatte Hannes die Idee, zwölf Hütten um einen Dorfplatz zu gruppieren, die Baukommission jedoch sprach von „Zersiedelung“. Abgelehnt. „Ich war wirklich frustriert“, sagt er heute. Er steckte die Pläne in die Schublade, baute stattdessen sein Privathaus nebenan, wo er mit seiner Frau Sandra und den zwei gemeinsamen Töchtern lebt. 2009 probiert er es wieder. Was ursprünglich zwölf verstreute Hütten waren, fügt er nun zu einem L zusammen: „Jetzt hat es mir nicht mehr gefallen.“ Also dreht er alles in die U-Form. Da sagte der dritte Architekt, so kannst du kein Hotel bauen.
Der Richtige: Hugo Demetz kann mit dem U
Er konnte. Er trifft den vierten Architekten, und der sagt, ich finde das U gut. Hugo Demetz will es versuchen. Der Grödner Architekt ist Hotelspezialist. „Alles entstand hier vor Ort“, sagt Hannes Rabanser. Hier oben, über den Dingen, wie es scheint, wurde über Materialien, Handwerker, Anspruch entschieden. Manchmal rauften die Arbeiter sich den Kopf. Hannes Rabanser jedoch gab nicht nach: „Wir wollten nach dem Konzept des UNESCO-Biosphärenreservats bauen“, sagte er. Natürlich, gesund, nachhaltig, ästhetisch. Allergikerfreundlich. Das zogen die Rabanser durch.
Über den Dingen: frei von Elektrosmog und Allergien.
Hannes ist einer, den man ziehen lassen muss. Er liebe die Freiheit, gibt er fast schüchtern zu und fügt hinzu: „Ich fliege gerne.“ Das meint er ernst. Mit zwölf brachte sein Onkel, einer der ersten Drachenflieger in Italien, ihm das Paragleiten bei. Heute fliegt er selber einen Drachen, kürzlich bestand er die Hubschrauberprüfung in Bozen.
2011 steht das neue Hotel. T20-I11-R59-L17-E52R Das Dach des Zwischenbaus ist begrünt, das Wasser plätschert aus der hauseigenen Quelle, die Köche stellen sich auf den Kopf, um Menschen mit Laktose-, Gluten- und anderen Unverträglichkeiten die Mühsal des Verzichts vergessen zu lassen. Nachts entscheiden Sie selber, ob ihr Zimmer frei von Elektrosmog bleiben soll. Freiheit eben, wie Hannes Rabanser sie fühlen will.
Die Erkenntnis: oben bleiben, für immer.
Jeden Tag fährt er seine Töchter ins Tal nach St. Ulrich in die Schule. Sobald er das Haus verlässt, schaut er auf den Bergzug des Molignon, dunkle Fichtenwälder, kurzgrasige Almwiesen. Es ist tatsächlich still hier oben. Die Kinder kennen den Wald wie ihre Westentasche. Lieferanten akzeptieren die Auflage, erst ab 9 Uhr aufzutauchen.
Er musste kein Psychologe werden, um zu verstehen: Von da oben geht er nicht mehr weg.